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von Mirko Düssel & Co. Kategorie(n): Produktmanagement

Marketing in schnellen High-Tech-Märkten

Der vorliegende Artikel gibt einen ersten Überblick über das Marketing in High-Tech-Märkten. Er beleuchtet einige wesentliche Aspekte ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Neben dem Grundverständnis für die besonderen Herausforderungen des High-Tech-Marketings ist der Artikel aufgrund der abschließenden Checkliste eine Fundgrube für jeden Praktiker.

Herausforderung High-Tech-Marketing

Die Märkte der High-Tech-Branchen sind gekennzeichnet durch den vollzogenen Wandel vom Verkäufer- zum wettbewerbsintensiven Käufermarkt. Es geht heute grundsätzlich nicht mehr darum, dem Kunden Problemlösungen anzubieten, das tun andere Anbieter auch. Es geht vielmehr darum, Lösungen zu optimieren und kundenspezifische Vorteile zu bieten, die helfen, sich vom Wettbewerb deutlich zu unterscheiden. Hierbei sind folgende Trends und Entwicklungen zu beachten:

Trends und Entwicklungen in den High-Tech-Märkten

  1. Die Kundenanforderungen werden komplexer und differenzierter
    Von der einfachen Bedürfnisbefriedigung zu individueller Vielfalt (Variantenreichtum) · Der multioptionale Kunde: Unterschiedliche Alternativen werden parallel benutzt · Der sprunghafte Kunde: Investitions- und Kaufentscheidungen werden zunehmend kurzfristiger mit kürzeren Laufzeiten und geringerer Verbindlichkeit getroffen · Streben nach optimaler Nutzenerfüllung, ohne zu sehr in die Tiefe der Problemstellung einzudringen
  2. Zielsegmente werden vielschichtiger und vielfältiger
    Die zunehmende Aufsplitterung der Märkte erfordert ein immer differenzierteres Marketing. Es wird immer schwieriger Kosteneffektivität nachzuweisen und sicherzustellen.
  3. Die Wettbewerbsintensität nimmt zu
    Produkt-, Innovations- und Technologiezyklen werden immer kürzer.
  4. Zunehmende Markttransparenz führt bei austauschbaren Produkten zu erheblichem Preisverfall
  5. Wettbewerbsvorteile werden in Monaten gemessen
    Durch die extreme Verkürzung der Produktlebenszyklen wird es immer schwieriger getätigte Investitionen zu amortisieren.
  6. Strategische Versäumnisse können durch aufwendige operative Maßnahmen nicht mehr kompensiert werden

Grundlagen des High-Tech-Marketing

Die folgenden Überlegungen dienen dem besseren Verständnis des Marketings. Bei aller Einfachheit liegt das Hauptproblem dennoch in der Umsetzung.

Strategisches Dreieck

Das strategische Dreieck als Denkmodell verdeutlicht das grundsätzliche Vorgehen bei Marketingentscheidungen. Gleichgültig ob produkt-, preis-, distributions- oder kommunikationspolitische Entscheidungen zu treffen sind, handelt es sich immer um komplexe Problemstellungen, die einer ganzheitlichen und vernetzten Betrachtung bedürfen. Bei allen Marketingentscheidungen sind die Einflüsse des eigenen Unternehmens, des Wettbewerbs, der Kunden und des relevanten Umfeldes (Politik, Gesellschaft, Rechtsprechung, Konjunktur, etc.) zu vernetzen und im Zusammenwirken zu betrachten.

Die Konkurrenz zwischen dem Wettbewerb und dem eigenen Unternehmen findet dabei auf der Ebene der Kosten statt. Der Wettbewerb gegenüber den Kunden erfolgt auf der Ebene der Präferenzen (Bevorzugungen). Der weit verbreitete Irrtum, es komme auf das Image an, ist zu relativieren. Es reicht nicht aus, wenn potentielle Kunden eine positive Meinung über einen Anbieter haben. Entscheidend ist, welcher Anbieter bei der aktuell bevorstehenden Kaufentscheidung die Kundenerwartungen am besten erfüllt. Marketing in High-Tech-Märkten ist immer ein »Spiel« auf Sieg und nicht auf Platz. Der zweite Anbieter im Kampf um die erste Position im Bewusstsein des Kunden ist bereits der erste Verlierer. Denn kaufen kann der Kunde schließlich nur einmal.

Operative Leistungsparameter

Zur Beurteilung jeder Leistung, die ein Unternehmen anbietet werden traditionell die drei operativen Leistungsparameter Qualität, Zeit und Kosten herangezogen. Aus Sicht des Anbieters durchaus legitim. Aus Sicht des Kunden sieht es etwas anders aus.

Für den Kunden ist einzig und allein seine Sichtweise entscheidend. Der Kunde interessiert sich beispielsweise wenig bis gar nicht für die Zeit, die ein Anbieter benötigt, ein Produkt herzustellen und es auszuliefern. Wichtig ist dem Kunden, wie lange es dauert, bis er sein Produkt im Anschluss an die Bestellung wirklich in Händen halten kann. Es interessiert ihn nicht, welche Kosten bei der Herstellung entstehen, der Preis den er bezahlen soll aber sehr wohl. Qualität aus Sicht des Herstellers ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist der individuelle Nutzen aus Sicht des Kunden. Also die Antwort auf die höchst subjektive Frage: »Was habe ich denn davon?«

Dieser Ansatz ist vor allem in High-Tech-Märkten interessant. Hier gilt es schnelle Änderungen der Nutzenerwartung des Kunden aufzunehmen und umgehend in Produktmerkmale umzusetzen. Mit dem folgenden Beispiel aus dem Bereich Telekommunikation wird angedeutet, wie das Konzept der operativen Leistungsparameter umgesetzt wird.

Das Märchen vom Preis-Leistungs-Verhältnis

Gerade bei der Vermarktung von High-Tech-Produkten ist der Glaube an das »Märchen vom Preis-Leistungs-Verhältnis« weit verbreitet. Anders als bei Produkten mit längeren Lebenszyklen, hier wird bei einer Vielzahl von Me too-Produkten durchaus das Preis-Leistungs-Verhältnis herangezogen, wird es bei echten High-Tech-Produkten nicht zugrunde gelegt. Soll beispielsweise neue Hardware für spezielle Anwendungen beschafft werden, wird niemand auf die Idee kommen, standardisierte Leistungsmerkmale mit dem Preis zu korrelieren. Hier wird immer der erwartete Nutzen den Ausschlag geben.

Durchgesetzt hat sich das Konzept des Nettonutzen. Der Nettonutzen ergibt sich hierbei aus der Differenz von Nutzen (aus der Sicht des Kunden) und dem Preis, der für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu zahlen ist. Ist der subjektiv empfundene Nutzen höher als der zu zahlende Preis, hat der potentielle Kunde einen Nettonutzen und wird das Produkt kaufen.

Das Netto-Nutzen-Konzept:

Nettonutzen = Nutzen - Preis

Für das High-Tech-Marketing bedeutet dies vor allem eines: Es wird immer bedeutsamer, die Instrumente der Marketingkommunikation gekonnt einzusetzen. Es reicht nicht mehr aus innovative Produkte mit begeisternden Merkmale zu entwickeln. Es kommt darauf an, den Nutzen dieser Merkmale zu verdeutlichen.

Die Kommunikationsinstrumente Werbung, Verkaufsförderung und Öffentlichkeitsarbeit haben deutlich an Gewicht gewonnen und werden weiter gewinnen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, vom USP (unique selling proposition), dem alleinstellenden Produktmerkmal oder der alleinstellenden Merkmalkombination zu einer echten werblichen Alleinstellung (UAP = unique advertising proposition) zu gelangen.

Positionierung

Voraussetzung dafür, dass Kommunikationsmaßnahmen Absatz fördernd wirken können, ist die eindeutige Positionierung in der Zielgruppe. Die Positionierung dient der Hervorhebung eines Angebotes im Bewusstsein potentieller Kunden und gleichzeitig der Abgrenzung von Angeboten des Wettbewerbs.

Um dies zu erreichen, werden die angesprochenen Zielmärkte in sinnvolle Teilmärkte aufgesplittet, segmentiert. Die so entstandenen Marktsegmente sind in sich möglichst homogen und gegenüber anderen Marktsegmenten möglichst heterogen. Das nachfolgende einfache Beispiel verdeutlicht exemplarisch das Vorgehen.

Die vorgenommene Marktsegmentierung ermöglicht die Differenzierung des Angebotes. Sind die attraktivsten Marktsegmente für das eigene Unternehmen identifiziert, gilt es Möglichkeiten zur Differenzierung zu finden. Grundsätzlich kann das Angebot über einzigartige Produktmerkmale, einzigartigen Service, die Qualität der Mitarbeiter oder ein besonderes Image differenziert werden. Entscheidend ist, dass die ausgewählten Kriterien in der Zielgruppe eine hohe Relevanz besitzen und noch nicht durch Wettbewerber besetzt sind.

Gelingt es nicht die angebotenen Produkte in den ausgewählten Marktsegmenten zu differenzieren ist die Gefahr groß, dass es sich bei dem Angebot um ein austauschbares Produkt (Me too-Produkt) handelt. Ein solches Produkt wird mit großer Sicherheit kaum den Break-Even-Absatz (Der Punkt, bei dem alle bereits aufgewendeten variablen und fixen Kosten gedeckt sind, also Gewinn erzielt wird.) erreichen, geschweige denn überschreiten.

Reicht die angestrebte bzw. erreichte Differenzierung nicht aus, wird es kaum gelingen, dem Kunden einen für ihn erkennbaren Mehrwert zu bieten. Die Folgen: Verkauf über den Preis und permanenter Rückgang der Deckungsbeiträge

Marktforschung ist tot. Hoch lebe die Marktforschung

In sich schnell verändernden Märkten nimmt die Marktforschung eine zentrale Rolle im Marketing ein.

Traditionelle Marktforschung

Der klassische Weg der Marktforschung, die schriftliche, telefonische oder persönliche Primärerhebung bei den Kunden, verliert zunehmend an Aussagekraft. Ursache hierfür sind die weiter oben skizzierten Trends. Insbesondere die immer kürzeren Produktlebenszyklen und die daraus resultierenden Akzeptanzprobleme ständig neuer Produkte führen dazu, dass keine zuverlässigen Extrapolationen aus der Analyse der Vergangenheitsdaten möglich sind.

Komplementär, in Teilen möglicherweise substituierend, gewinnen Methoden und Verfahren an Bedeutung, die qualitativen Aspekten mehr Aufmerksamkeit schenken. Ein in den letzten Jahren international an Bedeutung gewinnendes Verfahren ist CD-MAP®

Die andere Marktforschung ValueMarking*

Das einzige was zählt, sind die Wertvorstellungen der Kunden. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen. Die Kunden haben nicht gelernt, ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Die Unternehmen haben nicht gelernt zu verstehen, wenn Kunden ihnen ihre Erwartungen schildern.

Erwartungen werden ausschließlich auf der Ebene der Sinne erzeugt. Für den Kunden zählt nur das, was für ihn herauskommt (Outcomes). Die Herausforderung für die Marktforschung in High-Tech-Märkten besteht darin, aus den Sinnen der potentiellen Kunden ein quantifizierbares Modell zu entwickeln, das dann wiederum die Grundlage für die Produktentwicklung liefert.

ValueMarking ist eine Methode zur Marktforschung, die Kundenerwartungen systematisch strukturiert, zu Clustern bündelt und in konkrete Handlungsanweisungen umsetzt. Für Marketing und Produktmanagement stehen so verlässliche Daten in ungewöhnlicher Tiefe und Aussagekraft zur Verfügung.

* = Zur Zeit der Erstveröffentlichung wurde die Methode auch CD-MAP® (Customer Driven Mission Achievement Process) genannt.

Erfolgsfaktoren im High-Tech-Marketing

Die im folgenden skizzierten Erfolgsfaktoren zeichnen sich in vielen High-Tech-Märkten ab. Eine Verallgemeinerung auf jede Branche ist jedoch nicht zulässig. Im Einzelfall ist zu prüfen, welche Faktoren relevant und welche weiteren Erfolgsfaktoren von Bedeutung sind.

  1. Markenpolitik und Image
    Immer ähnlichere Produkte und vergleichbare Serviceleistungen erlauben fast nur noch die kommunikative Differenzierung. Mit der gestiegenen Bedeutung des Image gewinnt gleichzeitig die erfolgreiche Markenpolitik im Investitionsgüter- und High-Tech-Marketing an Bedeutung.
  2. Schnelle Entscheidungsfindung
    Schnelle Marktveränderungen erfordern schnelle Reaktionen seitens der Unternehmen. Entscheidungen können nicht mehr ausführlich diskutiert werden. »Don't plan it. Do it«.
  3. Innovationskultur
    Der gestiegene Bedarf an Produkt-, Prozess- und Strategieinnovationen erfordert ein hohes Maß an Änderungsbereitschaft bei allen Mitarbeitern. Geeignete Maßnahmen zur Weiterbildung und Personalentwicklung gewinnen an Bedeutung. Der Bedarf zur kooperativen Selbstqualifikation steigt.
  4. Strategische Frühwarnsysteme und Controlling
    Das klassische finanzgestützte Controlling wird um strategisches Controlling und strategische Frühwarnsysteme ergänzt.
  5. Fokus - Führen mit Zielen
    Um den Überblick zu behalten und klare Prioritäten in der Unternehmensführung zu setzen, ist es notwendiger denn je, mit messbaren, zeitlich bestimmten, formulierten quantitativen und qualitativen Zielen zu arbeiten.

Checkliste High-Tech-Marketing

Die kritische Auseinandersetzung und Beantwortung der folgenden zielführenden Fragen ist eine wichtige Hilfe bei der erfolgreichen Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen in schnellen High-Tech-Märkten.

  1. Sind Ihnen alle zielgruppentypischen Vorteilserwartungen bekannt? Wird ein echter Nettonutzen geboten?
  2. Sprechen Sie regelmäßig mit Ihren Kunden und beziehen Sie sie in Ihre Entscheidungen mit ein? Kennen Sie die »Buying Center« (alle an der Kaufentscheidung direkt oder indirekt beteiligten Einflussnehmer) Ihrer Kunden?
  3. Haben Sie Ihre Zielmärkte und damit die angesprochenen Zielgruppen hinreichend genau definiert? Kennen Sie Ihre Marktsegmente und deren kritische Erfolgsfaktoren genau? Haben Sie klare Positionierungen entwickelt?
  4. Existieren klare Prioritäten für die segmentspezifischen Aktivitäten zur Marktbearbeitung?
  5. Sind die segmentbezogenen Stärken und Schwächen sowie die daraus abgeleiteten Chancen und Risiken genügend herausgearbeitet?
  6. Ist sichergestellt, dass Sie nicht in die »Technologiefalle« treten, das heißt, haben Sie in den einzelnen Segmenten die kritischen Punkte festgelegt, bei denen weitere technologische Verbesserungen (Perfektionismus) von den Kunden nicht mehr bezahlt werden?
  7. Kennen Sie Ihre Kernkompetenzen für die einzelnen Zielmärkte und konzentrieren Sie sich strategisch auf deren Erhalt und Ausbau?
  8. Beobachten Sie kontinuierlich Ihren Wettbewerb? Entwickeln Sie dabei strategisch wichtige Wettbewerbsvorteile, wie z.B. Präferenz-, Kosten- und Zeitvorteile weiter?
  9. Haben Sie ein System zur Kundenzufriedenheitsanalyse entwickelt und implementiert und verfügen Sie über ein Beschwerdemanagementsystem zur Rückkopplung und Weiterentwicklung?
  10. Betreiben Sie systematische Weiterbildung und Personalentwicklung, um alle vorhandenen Innovationspotentiale zu nutzen?
  11. Nutzen Sie die wichtigsten Ansätze zur Analyse Ihrer strategischen Erfolgspositionen (Produktlebenszyklus, Portfolio, Erfahrungskurve, Branchenstrukturanalyse, SWOT: Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken)? Leiten Sie hieraus Schlussfolgerungen ab und fließen diese in Ihre Marketingstrategie ein?
  12. Haben Sie einen schriftlich niedergelegten Marketingplan, der zumindest konkrete Ziele (messbar, zeitpunkt- oder zeitraumbezogen), die grundsätzlichen Marketingstrategien und konkrete Aussagen zum Instrumentaleinsatz enthält (Produkt- und Leistungspolitik, Preis- und Konditionenpolitik, Distributionspolitik und Absatzförderungspolitik)? Überprüfen Sie zumindest quartalsweise diesen Plan?

Quelle: Mirko Düssel 1999, in: Heidack, Clemens; High Tech - High Risk

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Erstveröffentlichung: 20.03.2000

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