15.11.2019 von Mirko Düssel & Co.
Fehler lieben lernen
Sir Karl Raimund Popper (1902-1994) war ein österreichisch-britischer Philosoph und Begründer des Kritischen Rationalismus. Er beschreibt eine Denkrichtung, »die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden«.
Er setzt sich mit der Frage auseinander, wie Probleme undogmatisch, planmäßig (»methodisch«) und vernünftig (»rational«) untersucht und geklärt werden können. Popper kritisiert eine weit verbreitete und häufig unreflektierte Wissenschaftsgläubigkeit.
Er kritisiert vor allem die Auffassung, dass wissenschaftliches Wissen auf positiver Bestätigung beruht. Dieser Positivismus verkennt, dass Wahrheit häufig eine Frage des Blickwinkels oder der Perspektive ist. Eine immer wieder beobachtete Bestätigung aus der gleichen Perspektive ist bestenfalls eine partielle Bestätigung. Eine wissenschaftliche Hypothese lässt sich so niemals beweisen, wenn sie jedoch falsch ist, widerlegen.
Ähnlich wie in der Wissenschft gilt auch für unternehmerische und andere Probleme, dass wir danach trachten sollen eine mögliche Lösung mit allen Mitteln zu widerlegen (negative Falsifikation). Gelingt es uns nicht die Hypothese zu widerlegen, gehen wir solange von der Richtigkeit aus, bis sie widerlegt wird (Kritischer Rationalismus).
Anmerkung: Die im folgenden Text angesprochene Berufsgruppe »Wissenschaftler« kann durch jede andere Berufsgruppe (Unternehmer, Manager, Kaufleute, Techniker etc.) ersetzt werden.
Quelle: Vortrag von Sir Karl Raimund Popper: »Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit«, gehalten am 26.05.1981 an der Universität Tübingen
Zwölf Prinzipien für eine neue Berufsethik
- Es gibt keine Autoritäten,
da unser objektives Vermutungswissen weit über das hinaus geht, was ein Mensch meistern kann. Das gilt auch innerhalb von Spezialfächern. - Es ist unmöglich, alle Fehler zu vermeiden
oder auch nur alle an sich vermeidbaren Fehler. Fehler werden dauernd von allen Wissenschaftlern gemacht. Die alte Idee, dass man Fehler vermeiden kann und daher verpflichtet ist, sie zu vermeiden, muss revidiert werden: Sie selbst ist fehlerhaft. - Es bleibt natürlich unsere Aufgabe, Fehler nach Möglichkeit zu vermeiden.
Aber gerade um sie zu vermeiden, müssen wir uns vor allem klar darüber werden, wie schwer es ist, sie zu vermeiden, und dass es niemandem völlig gelingt. Es gelingt auch nicht den schöpferischen Wissenschaftlern, die von Ihrer Intuition geleitet werden: Die Intuition kann uns auch irreführen. - Auch in den besten bewährten unter unseren Theorien können Fehler verborgen sein.
Und es ist die spezifische Aufgabe eines jeden Wissenschaftlers, nach solchen Fehlern zu suchen. Die Feststellung, dass eine gut bewährte Theorie oder ein viel verwendetes praktisches Verfahren fehlerhaft ist, kann eine wichtige Entdeckung sein. - Wir müssen deshalb unsere Einstellung zu unseren Fehlern ändern.
Es ist hier, wo unsere praktische ethische Reform beginnen muss. Denn die alte berufsethische Einstellung führt dazu, unsere Fehler zu vertuschen, zu verheimlichen und so schnell wie möglich zu vergessen. - Das neue Grundgesetz: Wir müssen, um zu lernen, Fehler möglichst zu vermeiden, gerade von unseren Fehlern lernen.
Fehler zu vertuschen ist deshalb die größte intellektuelle Sünde. - Wir müssen daher dauernd nach unseren Fehlern Ausschau halten.
Wenn wir sie finden, müssen wir sie uns einprägen; sie nach allen Seiten analysieren, um ihnen auf den Grund zu gehen. - Die selbstkritische Haltung und die Aufrichtigkeit werden damit zur Pflicht.
- Da wir von unseren Fehlern lernen müssen, müssen wir es auch lernen, es anzunehmen, ja, dankbar anzunehmen, wenn andere uns auf unsere Fehler aufmerksam machen.
Wenn wir andere auf ihre Fehler aufmerksam machen, so sollen wir uns immer daran erinnern, dass wir selbst ähnliche Fehler gemacht haben wie sie. Und wir sollen uns daran erinnern, dass die größten Wissenschaftler Fehler gemacht haben. Ich will sicher nicht sagen, dass unsere Fehler gewöhnlich entschuldbar sind: Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen. Aber es ist menschlich unvermeidbar, immer wieder Fehler zu machen. - Wir müssen uns klar werden, dass wir andere Menschen zur Entdeckung und Korrektur von Fehlern brauchen (und sie uns).
Insbesondere auch Menschen, die mit anderen Ideen in einer anderen Atmosphäre aufgewachsen sind. Auch das führt zur Toleranz. - Wir müssen lernen, dass Selbstkritik die beste Kritik ist; dass aber die Kritik durch andere eine Notwendigkeit ist.
Sie ist fast ebenso gut wie die Selbstkritik. - Rationale Kritik muss immer spezifisch sein.
Sie muss spezifische Gründe angeben, warum spezifische Aussagen, spezifische Hypothesen falsch zu sein scheinen oder spezifische Argumente ungültig. Sie muss von der Idee geleitet sein, der objektiven Wahrheit näher zu kommen. Sie muss in diesem Sinne unpersönlich sein.
Erstveröffentlichung: 22.01.1999